Wie inländische Arbeitskräfte optimal gefördert werden
von Fiona Rast

Der liberale Schweizer Arbeitsmarkt war in den letzten zwei Jahrzehnten durch das konstante Wirtschaftswachstum leistungsfähig. Dazu haben die Personenfreizügigkeit mit der EU und der Marktzugang zum Binnenmarkt beigetragen. Trotz verschiedener Krisen konnten die Unternehmen attraktive und gut bezahlte Arbeitsplätze schaffen. Dieses Ergebnis wird von den Arbeitsmarktzahlen unterstrichen. Die Erwerbslosenquote der 15- bis 64-Jährigen liegt seit 2000 bei durchschnittlich 4,4 Prozent – einer der tiefsten Werte weltweit. Zudem hat die Schweiz mit 82,4 Prozent eine bemerkenswert hohe Erwerbsquote, deutlich über dem OECD-Schnitt von 71 Prozent. Dieser Erfolg ist nicht zuletzt auf die gestiegene Erwerbsbeteiligung der Frauen in der Schweiz zurückzuführen, wodurch auch der Anteil der Teilzeitbeschäftigten zugenommen hat.
Hohe Zufriedenheit bei Erwerbstätigen
Auch für ältere Arbeitnehmende erweist sich die Schweiz als attraktives Arbeitsumfeld. Die Erwerbsquote der 55- bis 64-Jährigen liegt mit 77,5 Prozent im Jahr 2023 auf einem international hohen Niveau. Auch die Reallöhne haben sich seit dem Jahr 2000 positiv entwickelt, der Reallohnindex ist bis 2023 um über 12 Prozent gestiegen. Diese positiven Werte spiegeln sich auch in der Zufriedenheit der Erwerbstätigen wider. Gemäss der Schweizerischen Gesundheitsbefragung 2022 sind vier von fünf Erwerbstätigen mit ihrer Arbeit zufrieden. Zurückzuführen ist das darauf, dass Schweizer Arbeitsplätze im europäischen Vergleich einen grossen individuellen Gestaltungsspielraum, vielfältige Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten sowie Aufstiegschancen und Mitsprachemöglichkeiten bieten.
Demografischer Wandel in der Schweiz
Die Schweiz konnte diese positiven Arbeitsmarktzahlen vor allem erreichen, weil bisher die geburtenstarken Jahrgänge im erwerbsfähigen Alter waren und somit viele Arbeitskräfte zur Verfügung standen. Im kommenden Jahrzehnt wird zum Problem, dass die Babyboomer zunehmend aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden und aufgrund der demografischen Struktur durch die nachrückenden Generationen nicht mehr ausreichend ersetzt, werden können. Bereits heute herrscht in der Schweiz ein Arbeitskräftemangel. Das Angebot an inländischen Arbeitskräften nimmt ab, während die Nachfrage aufgrund der steigenden Produktivität zunimmt. Schätzungen gehen davon aus, dass in der Schweiz in den nächsten zehn Jahren rund 460'000 Vollzeitstellen fehlen werden.
Ausschöpfung des inländischen Arbeitspotenzial als Lösung
Neben dem Arbeitskräftemangel gibt es aber auch die Sorge der Schweizer Bevölkerung vor einer steigenden Nettozuwanderung. Hier gibt es im Wesentlichen zwei Lösungsansätze. Entweder eine staatliche Begrenzung der Zuwanderung aus dem EU-Raum oder die Substitution von Arbeitskräften aus dem EU-Raum durch inländische Arbeitskräfte. Der erste Ansatz, vertreten durch die sogenannte „Nachhaltigkeitsinitiative“, fordert eine Begrenzung der Bevölkerung auf 10 Millionen und die Kündigung der Personenfreizügigkeit. Dieser Vorschlag würde die Bilateralen I gefährden, weil die Verträge durch die Guillotine-Klausel miteinander verbunden sind. Der zweite Lösungsansatz, welcher auch im Sinne der Wirtschaft ist, setzt auf eine bessere Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzials. Die Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzials ist notwendig, um den Arbeitskräftemangel in Zukunft zu decken und die Schweiz unabhängiger von ausländischen Arbeitskräften zu machen. Trotz dieser inländischen Anstrengungen ist aber unbestritten, dass wir auch in Zukunft auf eine subsidiäre und möglichst sozialverträgliche arbeitsmarktbezogene Zuwanderung angewiesen sein werden.
Massnahmen für Schweizer Wirtschaft und Politik
Viele Unternehmen haben bereits Massnahmen gegen den Arbeitskräftemangel eingeleitet. Gemäss einer Umfrage von Economiesuisse sind es fast zwei Drittel der 448 befragten Unternehmen. Davon hat knapp die Hälfte ihr Aus- und Weiterbildungsangebot für die Mitarbeitenden erweitert. Dazu gehören der Ausbau von Lehrstellen sowie die Übernahme von mehr Ausbildungskosten für Mitarbeitende. Mehr als ein Drittel der Unternehmen verbesserte, gezielt die Anstellungsbedingungen, dabei sind Lohnerhöhungen nur ein Teilaspekt davon. Flexiblere Arbeitszeiten, bessere Aufstiegsmöglichkeiten und mehr Eigenverantwortung gehören ebenfalls zu den Massnahmen, um das Arbeitsumfeld attraktiver zu gestalten. Darüber hinaus nutzt rund ein Drittel der Unternehmen neue Rekrutierungskanäle, insbesondere Social Media, um eine breitere Zielgruppe zu erreichen.
Angepasstes Arbeitsrecht als Schlüssel zum Erfolg
Diese Massnahmen allein reichen jedoch nicht aus, um das Problem des Arbeitskräftemangels zu lösen. Es braucht auch die Unterstützung der Politik, um vorhandenen Rahmenbedingungen anzupassen. Das starre Arbeitsrecht muss an die heutigen Präferenzen der Arbeitnehmenden angepasst und die Ausbildung stärker auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes ausgerichtet werden. Auch die Steigerung der Arbeitsproduktivität ist entscheidend, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Für Frauen sind vor allem Teilzeitmöglichkeiten und flexible Arbeitszeiten sowie eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zentrale Themen. Auch steuerliche Anreize wie Individualbesteuerung und Steuerprogression spielen eine Rolle. Dazu müssen bürokratische Hürden abgebaut und Innovationsspielräume gefördert werden.
Insgesamt steht die Schweiz vor der Aufgabe, nicht nur ihre Arbeitskräfte gezielt zu fördern, sondern auch die richtigen Weichen zu stellen, damit Unternehmen und Staat gemeinsam den Fachkräftemangel bewältigen können.