Nachhaltigkeitsberichterstattung und ESG-Sorgfaltspflichten in der Schweiz
Dr. Vera Naegeli / Rechtsanwältin, LL. M. Partnerin bei Bär & Karrer

Im November 2020 hat die Schweiz die Annahme der sogenannten «Konzernverantwortungsinitiative» knapp abgelehnt. Am 1. Januar 2022 sind aber die Regeln des indirekten Gegenvorschlags zur Nachhaltigkeitsberichterstattung für Unternehmen des öffentlichen Interesses in Kraft getreten. Weiter bestehen seit 2022 Sorgfalts- und Berichterstattungspflichten in Bezug auf Konfliktmineralien und Kinderarbeit; diese Regeln haben einen weiten Anwendungsbereich und können auch für KMU Anwendung finden. Für Rohstoffunternehmen bestehen schliesslich bereits seit 2021 Berichterstattungspflichten bezüglich Zahlungen an staatliche Stellen.
Nichtfinanzielle Berichterstattung
Das Obligationenrecht (Art. 964a ff. OR) schreibt vor, dass Unternehmen von öffent- lichem Interesse (grössere kotierte oder der Finanzmarktaufsicht unterstellte Unternehmen), die bestimmte Schwellenwerte überschreiten (mindestens 500 Vollzeitstellen, Bilanzsumme über CHF 20 Mio. oder Umsatz über CHF 40 Mio.), jährlich über Umwelt-, Sozial- und Arbeitnehmerbelange, Menschenrechte und Korruptionsbekämpfung berichten müssen, es sei denn, sie könnten sich auf eine Ausnahmebestimmung berufen. Die Schweizer Regelung zur nichtfinanziellen Berichterstattung wurde in Anlehnung an die – inzwischen überholte – Richtlinie der EU zur CSR-Berichterstattung (Corporate Social Responsibility) verfasst. Unternehmen im Anwendungsbereich der Regeln, deren Geschäftsjahr dem Kalenderjahr entspricht, mussten im Frühjahr 2024 ihren ersten nichtfinanziellen Bericht veröffentlichen; derzeit befinden wir uns also im Jahr drei der nichtfinanziellen Berichterstattung nach Obligationenrecht. Seit Januar 2024 gilt überdies die neue Verordnung zur Klimaberichterstattung, welche die Berichterstattung zu Klimabelangen als Teil der Umweltbelange im Rahmen des nichtfinanziellen Berichts konkretisiert und insbesondere Berichte nach den TCFD-Empfehlungen (Task Force on Climate-related Financial Disclosures) als konform anerkennt und für Berichte ab dem Geschäftsjahr 2025 maschinenlesbare Formate für die Berichterstattung verlangt.
Der nichtfinanzielle Bericht muss durch das oberste Leitungs- oder Verwaltungsorgan und das für die Genehmigung der Jahresrechnung zuständige Organ, bei Aktiengesellschaften also von Verwaltungsrat und Generalversammlung, genehmigt, elektronisch veröffentlicht werden und zehn Jahre zugänglich bleiben. In Lehre und Praxis besteht Uneinigkeit darüber, ob es sich bei der Abstimmung der Generalversammlung um eine verbindliche oder eine konsultative Abstimmung handelt. Nach der hier vertretenen Auffassung muss die Generalversammlung einen verbindlichen Beschluss fassen.
Die Prüfung des Berichts über nichtfinanzielle Belange ist nicht vorgeschrieben, aber freiwillig möglich. Eine externe Prüfung hat vor allem für den Verwaltungsrat eine entlastende Wirkung und kann die zivilrechtliche Verantwortung des Verwaltungsrats und strafrechtliche Risiken minimieren. Inskünftig soll die externe Prüfung des nichtfinanziellen Berichts obligatorisch werden.
Sorgfaltspflichten zu Konfliktmineralien und Kinderarbeit
Die Sorgfalts- und Berichterstattungspflichten zu Konfliktmineralien und Kinderarbeit gelten für Unternehmen, die Zinn, Tantal, Wolfram oder Gold aus Konfliktgebieten in die Schweiz importieren oder in der Schweiz verarbeiten oder Produkte / Dienstleistungen mit Verdacht auf Kinderarbeit anbieten. Relevant sind Art. 964j. ff. OR sowie die Verordnung über Sorgfaltspflichten und Transparenz bezüglich Mineralien und Metallen aus Konfliktgebieten und Kinderarbeit (VSoTr). Die Regeln zu Konfliktmineralien und Kinderarbeit haben einen weiten Anwendungsbereich, sie können für sämtliche Unternehmen mit Sitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung in der Schweiz Anwendung finden.
Die Regeln zu Konfliktmineralien und Kinderarbeit haben einen weiten Anwendungsbereich, sie können für sämtliche Unternehmen mit Sitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung in der Schweiz Anwendung finden.
Bei der Prüfung einer Sorgfalts- und Berichterstattungspflicht im Bereich Konfliktmineralien ist auf die Schwellenwerte im Anhang 1 zur VSoTr abzustellen. In Bezug auf Kinderarbeit ist eine jährliche Risikobewertung anhand des UNICEF «Children’s Rights in the Workplace Index» erforderlich, es sei denn, ein Unternehmen könne sich auf eine Ausnahme berufen, z. B., weil es unter die Ausnahme für kleine und mittlere Unternehmen fällt und kein offensichtlicher Einsatz von Kinderarbeit besteht oder weil es internationale Regelwerke gemäss Anhang 2 zur VSoTr vollständig anwendet (was selten der Fall sein wird). Falls in der gesamten vorgelagerten Lieferkette (upstream) nur Produkte oder Dienstleistungen aus Ländern mit einem «Basic»-Rating bezogen werden, entfällt eine weitere Prüfpflicht wegen geringer Risiken (es sei denn, es liege offen- sichtlich Kinderarbeit vor).
Bei Produkten oder Dienstleistungen aus Ländern mit «Enhanced»- oder «Heightened»-Rating ist eine weitergehende Verdachtsprüfung notwendig. In der Praxis hat sich bisher insbesondere gezeigt, dass nicht alle Unternehmen ihre Pflichten bezüglich der jährlichen Risikobewertung zu Sorgfaltspflichten betreffend Kinderarbeit unter Schweizer Recht korrekt wahrnehmen.
Transparenz bei Rohstoffunternehmen
Unternehmen, die von Gesetzes wegen zu einer ordentlichen Revision verpflichtet und selbst oder durch ein von ihnen kontrolliertes Unternehmen im Bereich der Gewinnung von Mineralien, Erdöl oder Erdgas oder des Einschlags von Holz in Primärwäldern tätig sind, müssen jährlich einen Bericht über die Zahlungen an staatliche Stellen verfassen. Dieser Bericht soll die Transparenz im Rohstoffsektor verbessern.
Strafbestimmungen
Personen, die in Unternehmen für die Nachhaltigkeitsberichterstattung verantwortlich sind, u. a. die Mitglieder des Verwaltungsrats, sollten Kenntnis davon haben, dass die Verletzung der Berichtspflichten nach Art. 964a ff. OR mit Strafe bewehrt ist (Art. 325bis und Art. 325ter Schweizerisches Strafgesetzbuch). Bei vorsätzlicher Verletzung von Berichtspflichten droht eine Busse in Höhe von bis zu CHF 100’000 für die natürlichen Personen, welche für eine Verletzung verantwortlich sind. Eine strafrechtliche Verurteilung kann darüber hinaus die Reputation schädigen und für Personen in regulierten Sektoren auch aufsichtsrechtliche Folgen haben.
Ausblick zur Anpassung und Erweiterung der ESG-Regeln in der Schweiz
Im Sommer 2024 hat der Bundesrat einen Vorentwurf für eine Änderung der Bestimmungen über den Bericht zu Nachhaltigkeitsaspekten (bisher: Bericht über nichtfinanzielle Belange) veröffentlicht. In Anlehnung an die Vorschriften in der EU soll insbesondere der Anwendungsbereich der Berichterstattungspflichten über Publikumsgesellschaften hinaus erweitert werden. Zudem soll der Umfang im Bericht der zu veröffentlichenden Angaben erweitert und präzisiert werden und der Bericht soll inskünftig obligatorisch durch ein externes Revisionsunternehmen oder eine Konformitätsbewertungsstelle überprüft werden.
Nach Abschluss des Vernehmlassungsverfahrens im Herbst 2024 hat der Bundesrat die Vernehmlassungsergebnisse im März 2025 diskutiert und die sich in der EU abzeichnenden Vereinfachungen der Regeln zur Nachhaltigkeitsberichterstattung und den Sorgfaltspflichten zur Kenntnis genommen. Um diesen Entwicklungen Rechnung zu tragen, wurde die Anpassung der Bestimmungen im OR pausiert. Der Bundesrat will spätestens im Frühjahr 2026 über das weitere Vorgehen entscheiden. Aus demselben Grund wurde auch ein Projekt zur Revision der Verordnung zur Klimaberichterstattung bis spätestens im Januar 2027 pausiert.
Schliesslich ist noch zu erwähnen, dass im Mai dieses Jahres die sogenannte Konzernverantwortungsinitiative 2.0» eingereicht wurde. Die Initiative verlangt insbesondere die Einführung einer zivilrechtlichen Haftung von Konzernen für Schäden, welche durch mangelnde Sorgfalt bei der Einhaltung von Menschen- und Umweltrechten entstehen, die Einführung von verbindlichen Klimazielen für Unternehmen und die Schaffung einer neuen Aufsichtsbehörde. Es bleibt abzuwarten, wie sich der politische Diskurs um die Konzernverantwortungsinitiative 2.0 entwickeln wird.
Fazit
Die ESG-Vorgaben im Schweizer Recht stellen umfassende Anforderungen an Unternehmen und sie entwickeln sich laufend weiter. Zusätzlich sind auch viele Schweizer Unternehmen von den ESG-Vorgaben in der EU betroffen. Eine frühzeitige Vorbereitung auf zukünftige Anpassungen, die Einrichtung robuster Prozesse in der Gesamtorganisation und gegebenenfalls die (freiwillige) externe Prüfung der ESG-Berichte sind entscheidend, um rechtliche Risiken zu minimieren und den Anforderungen gerecht zu werden.
Zur Autorin
Dr. Vera Naegeli, LL. M. (Harvard), ist Rechtsanwältin, Partnerin und Head der Praxisgruppe ESG bei Bär & Karrer AG in Zürich. Sie berät Klienten regelmässig zu Nachhaltigkeits- und Governance-Fragen. Zudem ist Dr. Vera Naegeli erfahren in internationalen und nationalen M&A-Transaktionen und sie berät kotierte und nichtkotierte Gesellschaften, Investoren und Finanzinstitute zu einer Vielzahl von gesellschaftsrecht- lichen, kapitalmarktrechtlichen und regulatorischen Fragen und zu Corporate-Governance-Themen.
Vera Naegeli unterrichtet an der Executive School of Management, Technology and Law (Executive MBA) der Universität St.Gallen (HSG) und am Zentrum für Executive Education der Universität Zürich. Sie publiziert regelmässig in ihren Fachgebieten.