Exportnation Schweiz: Freihandel als Schlüssel zum Erfolg
Luca Kaufmann

39% Prozent. An dieser Zahl führte in den letzten Wochen und Monaten in der Schweizer Wirtschaftspolitik kein Weg vorbei. Die Einführung der US-Zölle auf Schweizer Exportgüter und die darauffolgenden Reaktionen haben eindrücklich aufgezeigt, wie wichtig der Freihandel für die Exportnation Schweiz ist. Ein zentrales Instrument, um diesen zu gewährleisten bilden Freihandelsabkommen (FHA) zwischen der Schweiz und ihren Partnern.
Doch wieso ist der Freihandel für die Schweiz von so hoher Wichtigkeit? Der Grund liegt auf der Hand: Mit einer ständigen Wohnbevölkerung von knapp 9 Millionen ist der heimische Markt zwar wichtig, doch der Raum für Wachstum ist beschränkt. Zudem befindet sich die Schweiz als Wirtschaftsstandort im ständigen Konkurrenzkampf mit der EU, den USA und weiteren Handelsnationen. Es ist daher wichtig, Unternehmen mit Sitz in der Schweiz einen guten Zugang zum Weltmarkt bieten zu können, um im Vergleich mit anderen Standorten bestehen zu können.
Gemeinschaftsprojekt der EFTA
Den ersten grossen Schritt Richtung Freihandel machte die Schweiz 1960 mit der Unterzeichnung der EFTA-Konvention. Die sieben Gründungsmitglieder machten es sich zum Ziel, Handelshemmnisse abzubauen und dadurch das gemeinsame Wirtschaftswachstum zu fördern. Nebst der internen Beseitigung von Zöllen widmete sich die EFTA auch dem Abschluss von Abkommen mit externen Partnern. Die erste Welle an FHA folgte für die Schweiz zu Beginn der 90er Jahre – grossmehrheitlich mit Staaten aus Mittel- und Osteuropa. In einem nächsten Schritt wurde das FHA-Netz der EFTA im Mittelmeerraum weiter ausgedehnt. In den Nullerjahren folgten Abkommen mit globalen Partnern wie Singapur, Chile oder Mexiko. Neben den über 30 multilateralen Abkommen, denen die Schweiz durch ihre EFTAMitgliedschaft angehört, schloss der Bund verschiedene bilaterale FHA ab. Zu nennen sind hierbei insbesondere das Vertragswerk mit der EU sowie die Abkommen mit China, Japan und dem Vereinigten Königreich.
Verschiedene Wege zur Partnerschaft
Doch wie wird entschieden bei welchen Ländern sich die EFTA, respektive die Schweiz, um den Abschluss eines FHA bemüht? Die Auswahl erfolgt nicht zufällig: Gemäss der aktuellen Strategie zur Aussenwirtschaftspolitik der Schweiz richtet sich die Partnerauswahl für neue FHA nach verschiedenen Kriterien: Zum einen ist die potenzielle wirtschaftliche Bedeutung eines möglichen Partners entscheidend sowie der Umfang seiner bereits bestehenden Wirtschaftsbeziehungen zur Schweiz. Zum anderen fliessen aussenpolitische Interessen, die politische Machbarkeit und das Verhalten der Konkurrenten USA, EU und Japan in die Entscheidungsfindung ein.
Rege Nutzung & brachliegendes Potenzial
Die bestehenden Abkommen werden von der Schweizer Wirtschaft rege genutzt. Gemäss dem Staatssekretariat für Wirtschaft SECO konnten durch die Abkommen allein im Jahr 2023 über 2,2 Milliarden Franken eingespart werden. Wegen des grossen Nutzens solcher Abkommen sind die EFTA und die Schweiz darum bemüht ihr FHA-Netz weiter auszubauen. 2025 konnten in dieser Hinsicht bedeutende Erfolge erzielt werden. Nachfolgend ein Überblick zu den gewichtigsten Veränderungen:
Indien – der EU einen Schritt voraus
Nach über 16 Jahren und 21 Verhandlungsrunden erzielten die EFTA-Mitgliedsstaaten und Indien am 10. März 2024 eine Übereinkunft. Seit dem 1. Oktober dieses Jahres ist das FHA in Kraft. Es öffnet der Schweiz den Zugang zu einem Markt mit einer Bevölkerung von mehr als 1,4 Milliarden Menschen. 2024 beliefen sich die Schweizer Exporte nach Indien gemäss Zahlen des SECO auf einen Gesamtwert von rund 6,6 Milliarden Franken. Die Importe aus Indien summierten sich im gleichen Zeitraum auf rund 1,1 Milliarden Franken.
Was ändert sich mit dem neuen Abkommen? Konkret senkt Indien während einer Übergangsperiode von zehn Jahren seine Importzölle. Über 94% der bisherigen Schweizer Exporte profitieren damit von einem vereinfachten Marktzugang. Das SECO rechnet mit Zolleinsparungen von bis zu
167 Millionen Franken pro Jahr.
Durch das Abkommen entsteht für die EFTA-Staaten zudem ein strategischer Wettbewerbsvorteil – die EU konnte mit Indien bis dato keine Einigung erzielen. Im Gegenzug verpflichteten sich die EFTA-Mitglieder zur Investitionsförderung in Indien. Konkret sollen diese über einen Zeitraum von 15 Jahren die Direktinvestitionen in Indien um 100 Milliarden US-Doller erhöhen und dadurch 1 Million Arbeitsstellen schaffen.
Malaysia – zentraler Akteur in der Elektroindustrie
Auch die zweite Erfolgsmeldung hat eine lange Vorgeschichte. 2012 lancierte die EFTA in Kuala Lumpur die FHA-Verhandlungen mit Malaysia. Erst am 23. Juni dieses Jahres erfolgte an der EFTA-Ministerkonferenz in Norwegen die Unterzeichnung. Der malaysische Markt ist mit einer Bevölkerung von knapp 35 Millionen wesentlich kleiner als das indische Pendant – trotzdem ist dessen Bedeutung nicht zu unterschätzen. 2024 bezifferte economiesuisse das Handelsvolumen zwischen der Schweiz und Malaysia auf 1,4 Milliarden Franken. Des Weiteren bildet Malaysia ein wichtiges Ziel von Schweizer Direktinvestitionen. Diese beliefen sich im Jahr 2022 auf 3,4 Milliarden Franken.
Das Abkommen hat einen umfassenden Geltungsbereich und enthält unter anderem Bestimmungen zum Handel mit Industrie- und Landwirtschaftsgütern, zu Ursprungsregeln oder zum Schutz geistigen Eigentums. Gemäss Bundesbern profitieren fast alle der heute nach Malaysia exportierten Güter vom Zollabbau. Zudem verfügt der Staat in Südostasien über beachtliche Rohstoffreserven und gehört in der globalen Elektroindustrie zu den führenden Kräften. Anders als das FHA mit Indien ist das Abkommen mit Malaysia noch nicht in Kraft – der Ball liegt nach der Unterzeichnung beim Parlament.
MERCOSUR – Hintertreffen verhindern
Den dritten Achtungserfolg erzielte die Schweiz diesen Sommer. Am 2. Juli schlossen die EFTA- mit den MERCOSUR- Staaten nach acht Jahren die FHA-Verhandlungen ab. Gleich wie bei der Partnerschaft mit Indien vereinfacht das Abkommen den Zugang zu einem bedeutenden Markt: Gemeinsam umfassen die Vertragsparteien Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay rund 270 Millionen Menschen. Die bisherige wirtschaftliche Verflechtung ist ebenfalls beachtlich. 2024 beliefen sich die Schweizer Exporte in die vier Länder auf über vier Milliarden Franken. Im Gegenzug exportierten die MERCOSUR-Staaten Waren im Wert von 762 Millionen Franken in die Schweiz. Das Vertragswerk sieht vor, dass rund 96% der heutigen Exporte in den gemeinsamen südamerikanischen Markt vollständig zollbefreit werden. Jährlich könnte die Schweiz dadurch mehr als 155 Millionen Franken einsparen. Als Gegenleistung gewährt die Schweiz den MERCOSUR-Staaten 25 Kontingente für den Import sensibler Agrarprodukte. Diese stellen für die heimische Produktion kein Problem dar. Die meisten Kontingente belaufen sich auf weniger als zwei Prozent des Gesamtkonsums oder entsprechen der heutigen Importmenge. Das Abkommen ist von zentraler Bedeutung für den Schweizer Wirtschaftsstandort. Es verhindert eine Schlechterstellung gegenüber der EU, welche 2024 eine Übereinkunft mit den MERCOSUR-Staaten erzielte. Gleich wie das FHA mit Malaysia ist das Abkommen mit MERCOSUR noch nicht in Kraft. Voraussichtlich wird der Bundesrat das Abkommen 2026 dem Parlament zur Genehmigung vorlegen.
China – Anpassungen in Arbeit
Ein weiteres Land, an dem in der Schweizer Aussenwirtschaftspolitik kein Weg vorbeiführt, ist China. Das Reich der Mitte ist der wichtigste Handelspartner der Schweiz in Asien. Allein im Jahr 2024 belief sich das Güter-Handelsvolumen zwischen der Schweiz und China auf über 33 Milliarden Franken. Für rund die Hälfte der Schweizer Exporte waren die pharmazeutische sowie die chemische Industrie verantwortlich. Rund ein Viertel entfiel auf Präzisionsinstrumente und Uhren. 2013 unterzeichnete die Schweiz als erstes Land in Kontinentaleuropa mit den Behörden in Peking ein bilaterales FHA. Dieses stellt für die Schweizer Wirtschaft einen beachtlichen Vorteil dar: 2022 konnten dadurch rund 187 Millionen Franken an Zollgebühren eingespart werden. Seit vergangenem Jahr setzt sich das SECO für eine Optimierung des FHA ein. Konkret sollen im Rahmen der Neuverhandlung bestehende Zölle weiter abgebaut werden, insbesondere für Industrieprodukte und die Uhrenindustrie. Zudem fordert eine Motion aus dem Ständerat, dass der Zugang von Schweizer Investitionen zum chinesischen Markt vereinfacht werden soll.


Grafik: FineSolutions AG