ESG – Verantwortung ja, aber mit Augenmass
Fabian Pernstich / IHK St.Gallen-Appenzell

Im Zentrum der diesjährigen Veranstaltung in Romanshorn standen die ESG-Vorgaben (Umwelt, Soziales, Unternehmensführung) und ihre Umsetzung in Schweizer Unternehmen. Grundlage der Veranstaltung waren die Ergebnisse einer aktuellen IHK-Mitgliederumfrage. Rund 160 Entscheidungsträgerinnen und -träger aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nahmen an der EcoOst Arena 2025 in der Romanshorner autobau erlebniswelt teil.
Nachhaltigkeit als unternehmerische Verantwortung
Die Ostschweizer Wirtschaft sieht sich in der Verantwortung, zu einer nachhaltigen Entwicklung beizutragen. Dies geschieht primär aus innerer Überzeugung und nicht aufgrund regulatorischer Anforderungen. «Die überwiegende Mehrheit unserer Mitglieder verstehen Nachhaltigkeit als Teil ihres unternehmerischen Handelns – nicht als Last, sondern als Chance», sagte Jérôme Müggler, Direktor der IHK Thurgau, bei der Begrüssung. Gleichzeitig betonte er: «Nachhaltigkeit braucht unternehmerische Freiheit – nicht ein Korsett aus Bürokratie.»
Studienautor Marco Gehrig und Stefan Nertinger (beide OST- Ostschweizer Fachhochschule) fassten die Studienergebnisse zu Beginn der Veranstaltung zusammen. Die Umfrage zeigt: Während rund 90 Prozent der Unternehmen Nachhaltigkeit mit unternehmerischer Verantwortung verbinden, berichten viele von einer zunehmenden Belastung durch regulatorische Anforderungen. Insbesondere die ESG-Berichterstattung bindet erhebliche Ressourcen, welche für die Umsetzung von Nachhaltigkeitsmassnahmen fehlen würden.

Nachhaltigkeit aus Sicht verschiedener Branchen
In der Podiumsdiskussion mit Vertreterinnen und Vertretern aus Wirtschaft und Wissenschaft wurde deutlich, dass viele Unternehmen bereits heute weit über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehen. Monica Müller (Chocolat Bernrain AG), Petra Roth (Thurgauer Kantonalbank), Silvan Halter (Wagner AG) und Gian Nauli (Thurgauischer Baumeisterverband) schilderten, wie Nachhaltigkeit im Unternehmensalltag gelebt werde und wo dabei Grenzen erreicht würden.
«Die Nachhaltigkeitsberichterstattung ist gegenwärtig für uns tragbar. Wichtig ist, dass wir keine höheren Anforderungen haben als unsere internationale Konkurrenz», betonte Halter. Auch Roth forderte eine möglichst breite Akzeptanz verschiedener Ansätze, um Nachhaltigkeit und deren Berichterstattung differenziert umsetzen zu können. Nauli betonte, dass mit der Berichterstattungspflicht auch ein Innovationsschub im Recycling von Wertstoffen stattgefunden habe. «Es gilt nun, diesen gut austarierten Kreislauf nicht zu stören und durch weitere Regulierungen übers Ziel hinauszuschiessen», so Nauli. Einigkeit bestand auch darüber, dass Unternehmen auf eine zahlungsbereite Kundschaft angewiesen seien, wenn es um nachhaltigere Produkte geht. In der Schokoladenherstellung würden beispielsweise Standards zur Vermeidung von Kinderarbeit bereits seit Jahrzehnten umgesetzt, so Müller.
Einblicke in Forschung und gesetzliche Anforderungen
Im Rahmen der Veranstaltung ordnete Dr. Vera Naegeli, Rechtsanwältin und ESG-Expertin bei Bär & Karrer AG, die aktuellen regulatorischen Entwicklungen ein. Sie erläuterte die bestehenden Berichterstattungspflichten nach Obligationenrecht sowie die erweiterten Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit Konfliktmineralien und Kinderarbeit. Kritisch betrachtete sie die im Mai eingereichte Konzernverantwortungsinitiative 2.0, welche unter anderem eine zivilrechtliche Haftung für Nachhaltigkeitsverstösse vorsieht und damit aus Sicht vieler Unternehmen zusätzliche Unsicherheit schaffen würde.
Prof. Dr. Blagoy Blagoev von der Universität St.Gallen forderte in seinem Referat einen differenzierten Umgang mit ESG. Nachhaltigkeit sei mehr als die Erfüllung regulatorischer Vorgaben. Er verlangte die bewusste Auseinandersetzung mit Zielkonflikten und Ambivalenzen. Vereinfachte Darstellungen des Wirtschaftens seien unzureichend, um der Vielschichtigkeit unternehmerischer Verantwortung gerecht zu werden.

Positionen der IHK: Drei klare Forderungen
Markus Bänziger, Direktor der IHK St.Gallen- Appenzell, schloss die Veranstaltung mit einer klaren Botschaft der beiden Kammern ab. Basierend auf den Umfrageergebnissen formulieren die IHK St.Gallen-Appenzell und die IHK Thurgau drei zentrale Positionen:
- Netto-Null als Ziel, nicht als Regulierungskorsett: Die Unternehmen bekennen sich zur Dekarbonisierung bis 2050. Dafür brauchen sie zielgerichtete Rahmenbedingun- gen statt starre Vorschriften. Innovationen und marktwirtschaftliche Instrumente sind zielführender als detaillierte Regulierung.
- Verantwortung statt Überregulierung: Die Ostschweizer IHKs sprechen sich gegen Schweizer Alleingänge und ein «Swiss Finish» bei ESG-Vorgaben Regulierungen müss- ten international abgestimmt, verhältnismäs- sig und wirkungsorientiert sein. Die geplante Konzernverantwortungsinitiative 2.0 birgt die Gefahr, freiwilliges unternehmerisches Enga- gement zu lähmen.
- Vielfalt berücksichtigen – keine Ein- heitslösung: Die Ostschweizer Wirtschaft ist geprägt von einer grossen Branchenvielfalt. Nachhaltigkeit muss differenziert verstanden und umgesetzt werden können. Ein «One- Size-Fits-All»-Ansatz sei für die Realität der Unternehmen untauglich.
EcoOst-Standpunkt zur Nachhaltigkeitsberichterstattung
Die beiden Ostschweizer Industrie- und Handelskammern begründen ihre Positionen in dem gemeinsamen EcoOst-Standpunkt «Nachhaltigkeit in Ostschweizer Unternehmen – Zwischen Verantwortung, Strategie und Regulierungsflut». Die Publikation basiert auf einer Mitgliederumfrage sowie einer Analyse durch Prof. Dr. Marco Gehrig (OST – Ostschweizer Fachhochschule) und zeigt auf, welche Massnahmen die Unternehmen bereits heute ergreifen und wo sie an Grenzen stossen.
Im Zentrum stehen drei zentrale Erkenntnisse: Die aktuelle Studie zeigt, dass Nachhaltigkeit in vielen Ostschweizer Unternehmen strategisch verankert ist und aus eigenem Verantwortungsbewusstsein umgesetzt wird. Im Zentrum stehen ökologische Anliegen wie der Klimaschutz und die Ressourceneffizienz, aber auch soziale Themen wie die Mitarbeiterzufriedenheit und eine starke Unternehmenskultur. Unternehmen verfolgen Ansätze, die ökonomisch sinnvoll und ökologisch wirksam sind. Gleichzeitig wird die Zunahme gesetzlicher Vorschriften als kritisch beurteilt.
Der vollständige EcoOst-Standpunkt
mehr erfahrenNext Steps: Leitfaden für die Umsetzung der Nachhaltigkeit
Es zeigt sich deutlich, dass Nachhaltigkeit in vielen Unternehmen bereits aktiv gelebt wird. Oft ist sie gar integraler Bestandteil des Geschäftsmodells. Unabhängig von Branche oder Unternehmensgrösse lassen sich vier zentrale Schritte identifizieren, um Nachhaltigkeit strukturiert und wirksam zu integrieren:
- Marktanalyse: Nachhaltigkeit aus Kundensicht verstehen
Ziel: Verstehen, welche Anforderungen Kunden und Märkte im Bereich Nachhaltigkeit stellen.
Fragen: Welche Kundengruppen fordern Nachhaltigkeitsinformationen – und aus welchen Gründen? Welche regulatorischen Entwicklungen beeinflussen die Erwartungen der Kunden?
Praxistipp: Erstellen Sie eine strukturierte Übersicht über aktuelle ESG-Anforderungen in Ihren Zielmärkten.
- Unternehmensstrategie reflektieren
Ziel: Die eigene Haltung und strategische Ausrichtung zur Nachhaltig- keit schärfen.
Fragen: Ist Nachhaltigkeit in das Geschäftsmodell integriert? Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit für die langfristige Wettbewerbsfähigkeit?
Praxistipp: Verankern Sie Nachhaltigkeit klar in Ihrer Vision, in den strategischen Zielen und in der Organisation.
- Wesentlichkeitsanalyse durchführen
Ziel: Die relevanten Nachhaltigkeitsthemen für das Unternehmen identifizieren.
Fragen: Welche Themen (z. B. CO₂, Kreislaufwirtschaft, soziale Verantwortung) sind für Stakeholder wesentlich? Worauf hat das Unternehmen direkten Einfluss?
Praxistipp: Nutzen Sie strukturierte Stakeholder-Dialoge und doppelte Wesentlichkeitsanalysen.
- Prozesse und Daten strukturieren
Ziel: Nachhaltigkeit operativ umsetzen und messbar machen.
Fragen: Welche bestehenden Prozesse lassen sich nachhaltiger gestal- ten? Welche Daten liegen bereits vor – und welche sollen zusätzlich erhoben werden? Wie werden Massnahmen gemessen und gesteuert?
Praxistipp: Integrieren Sie ESG-Kennzahlen in bestehende Steuerungs- und Reportingprozesse.