Aspekte der bilateralen Verträge mit der EU
Pascale Ineichen

Im Rahmen der bilateralen Verträge mit der EU regelt das Abkommen über technische Handelshemmnisse (Mutual Recognition Agreement, MRA) den Abbau nicht tarifärer Handelshemmnisse für den Import und Export von Industriegütern.
Inhalt und Geltungsbereich
Im Rahmen des MRA kann ein Industrieprodukt, das in einem der EU-Binnenmarktländer zugelassen ist, auch in allen anderen Ländern verkauft werden, ohne dass weitere Prüfungen oder Zulassungsverfahren notwendig sind. Das heisst, Konformitätsbewertungen von Produkten werden von den Vertragspartnern gegenseitig anerkannt und Produktvorschriften sowie Standards harmonisiert (beispielsweise Prüfungen, Inspektionen, Zertifizierungen, etc.). Dank dem MRA sind Schweizer Export-Unternehmen auch nicht verpflichtet, für die Produktezulassung einen Bevollmächtigten in der EU zu ernennen.
Das MRA umfasst 20 Produktegruppen und deckt damit über 60 Prozent aller Schweizer Industrie-Exporte ab. Es findet unter anderem Anwendung auf die Maschinen-, Elektro-, Metall-, Chemie, Bau- sowie die Pharmaindustrie.
Periodische Aktualisierung des MRA nötig
Die Anforderungen an bestimmte Produkte und die geltenden Normen im Handel entwickeln sich ständig weiter. Würden unterschiedliche Standards in der Schweiz und in der EU gelten, wäre dies für die Teilnehmenden am Binnenmarkt mit erheblicher Rechtsunsicherheit verbunden. Es ist deshalb nötig, das Abkommen periodisch zu aktualisieren, damit neuen Entwicklungen Rechnung getragen werden kann und beide Handelspartner dieselbe Ausgangslage haben.
Die Vorgaben für die einzelnen Industrien, welche das Abkommen regelt, sind jeweils auf eine bestimmte Dauer befristet. Bisher erfolgte eine Aktualisierung des Vertrags durch diplomatische Einigung im Rahmen des politischen Ausschusses zum Abkommen.
Lehnt die Schweiz das Stabilisierungspaket zu den bilateralen Verträgen ab, ist davon auszugehen, dass sich die EU künftig weigert, das Abkommen für die einzelnen Branchen periodisch zu aktualisieren, wie sie dies bereits mehrfach angekündigt hat.
Erosion des MRA wäre mit Rechtsunsicherheit verbunden
Damit käme es im MRA zur sogenannten mittelfristigen Erosion des Vertrags, was auch der Grund ist, weshalb die Beibehaltung des Status quo für die Fortführung des bilateralen Wegs keine Handlungsoption für die Schweiz darstellt. Überall dort, wo eine periodische Aktualisierung der Verträge nicht erfolgt, ginge der privilegierte Marktzugang bzw. die gegenseitige Anerkennung der Produktzulassungen für die Schweiz mit der Zeit verloren.
Für Schweizer Exporteure wäre das mit zusätzlichen Zulassungsverfahren und administrativen Mehrkosten verbunden. Vor allem exportorientierte KMUs wären davon betroffen. An dieser Ausgangslage würde sich auch dann nichts ändern, wenn sich die Schweizer Unternehmen bereit erklärten, die Standards und Normen der EU auch ohne bilaterale Verträge weiterhin freiwillig einzuhalten, um den privilegierten Marktzugang nicht zu verlieren. Denn es bestünde keine Gewähr, dass die EU dies in einem vertragslosen Zustand akzeptieren würde.
Das MRA bringt zahlreiche Vorteile
Nachfolgend eine Übersicht der hauptsäch- lichen Vorteile des MRA für die Schweizer Wirtschaft:
• Geringere Kosten für die Marktzulas- sung von Produkten
Die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen vereinfacht die Marktzulassung von Produkten, bringt damit administrative Entlastung und senkt Kosten.
• Erhöhte Standortattraktivität der Schweiz
Für ausländische Investoren erhöht das Abkommen die Standortattraktivität der Schweiz, denn diese profitieren davon, dass sie ihre Produkte nicht nur im Schweizer Markt, sondern direkt auch in der EU absetzen können.
• Erhalt und Schaffung von Arbeitsplätzen
Das MRA begünstigt die Ansiedlung von Unternehmen in der Schweiz, was neue Arbeitsplätze schafft. Umgekehrt hätte ein Wegfall des MRA negative Konsequenzen, denn Schweizer Unternehmen könnten sich gezwungen sehen, aufgrund der erschwerten Produktezulassung zumindest einen Teil der Produktion ins Ausland zu verlagern.
• Höhere Produktevielfalt für Konsumentinnen und Konsumenten
Durch die Erleichterung von Importen profitieren Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten von einer breiteren Produktevielfalt.
Beispiel Medizintechnik
Nach dem Abbruch der Verhandlungen zum Rahmenabkommen durch die Schweiz weigerte sich die EU 2021, das Abkommen über technische Handelshemmnisse im Bereich der Medizintechnik zu erneuern. Dies hatte zur Folge, dass in der Schweiz ausgestellte Zertifikate für Produkte der Branche zurzeit von der EU nicht mehr anerkannt werden. Solche Produkte benötigen deshalb eine neue Zertifizierung in der EU, und Schweizer Hersteller müssen zum Erreichen der Produktzulassung entweder einen Bevollmächtigten in der EU einsetzen oder in der EU eine Niederlassung gründen.
Betroffene Firmen wurden durch den damit verbundenen administrativen Mehraufwand und die zusätzlichen Kosten empfindlich getroffen.
Der Branchenverband Swiss Medtech schätzt, dass dies für die Branche mit zusätzlichen jährlichen Kosten von 120 Mio. CHF verbunden ist.
Die dadurch entstandene Rechtsunsicherheit hat negative Auswirkungen auf Investitionsentscheide und damit auch auf die Standortattraktivität der Schweiz. Um eine regelmässige Aktualisierung der Verträge sicherzustellen, ist im Stabilisierungspaket künftig die dynamische Rechtsübernahme verbunden mit einem Streitbeilegungsmechanismus vorgesehen. Eine «sachfremde» Vergeltungsmassnahme wie im oben erwähnten Fall der Medizintechnik wäre mit diesen neuen institutionellen Elementen künftig nicht mehr möglich.