39 Prozent US-Zölle als riesige Herausforderung
Jan Riss, Chefökonom IHK St.Gallen-Appenzell und Pascale Ineichen

Der 1. August 2025 wird als schwarzer Tag in die Schweizer Wirtschaftsgeschichte eingehen. Die Ankündigung der US-Administration, den Grossteil der Schweizer Warenimporte mit einem Zusatzzoll von 39% zu belegen, war ein Schock für die exportorientierte Ostschweizer Wirtschaft. Das belegt eine IHK-Unternehmensumfrage, an der über 200 Ostschweizer Betriebe mitwirkten. 85% der befragten Unternehmen zeigten sich eher bis stark überrascht ob der Höhe der US-Zusatzzölle. Dabei überwiegen nach ihrer Einschätzung eindeutig die Abwärtsrisiken: Neun von zehn Befragten rechnen damit, dass sich die US-Zölle negativ auf das Schweizer Wirtschaftswachstum auswirken.
Unsicherheit überwiegender Belastungsfaktor
Die konkrete Betroffenheit ist unternehmens- und branchenabhängig, wobei die Herausforderungen vielseitig sind. Die erhöhte Unsicherheit ist aber für zwei Drittel der Befragten ein Belastungsfaktor. Sie dämpft das Investitionsklima und erschwert verlässliche Preis- und Kostenkalkulationen. Rund ein Drittel der Unternehmen sieht zudem die Frankenstärke als Herausforderung. Tatsächlich hat der US-Dollar gegenüber dem Schweizer Franken seit Anfang Jahr um mehr als 10% abgewertet. In Kombination mit den Zöllen hat sich damit der Grossteil der Schweizer Exporte in die USA innert weniger Monate um rund 50% verteuert. Solche Preisaufschläge sind selbst für Innovationsführer und hochspezialisierte Nischenanbieter, wie sie in der Ostschweiz verbreitet sind, nur schwer durchsetzbar. In der Folge rechnen 60% der Ostschweizer Betriebe, die direkt in die USA exportieren, mit einem Nachfragerückgang im US-Markt. Auch der erhöhte administrative Aufwand für Zollformalitäten oder rechtliche Abklärungen sind oft genannte Herausforderungen. Die indirekten Effekte wiegen ebenfalls schwer: Rund ein Drittel aller befragten Ostschweizer Betriebe erwartet einen Nachfragerückgang in der Schweiz respektive einen Wettbewerbsverlust gegenüber der ausländischen Konkurrenz.
Empfindliche Umsatzeinbussen erwartet
Die konkreten Auswirkungen zeigen sich allmählich: Über 40% der Unternehmen berichten bereits heute von negativen Folgen für den eigenen Betrieb, zwei Drittel erwarten solche.

Für das laufende Jahr erwartet ein Viertel der Befragten aufgrund der US-Zölle einen Umsatzrückgang von bis zu 10% gegenüber 2024. Weitere 12% rechnen mit einem spürbaren (10–20%) beziehungsweise starken Umsatzrückgang (grösser 20%). Bei den Unternehmen mit direkten US-Exporten fallen die erwarteten Umsatzeinbussen deutlich höher aus.
3% aller befragten Unternehmen haben infolgedessen bereits einen Stellenabbau eingeleitet. Weitere 15% erachten einen solchen für die kommenden Monate als wahrscheinlich. Umgekehrt bedeutet dies aber auch, dass die überwiegende Mehrheit der Unternehmen am Personalbestand festhält (74%) oder diesen gar aufstockt (6%).
Unternehmen treffen oder planen Massnahmen
Aktuell befindet sich über die Hälfte der Unternehmen mit US-Exporten in einer Analysephase, in der bislang keine Sofortmassnahmen getroffen wurden. Gleichzeitig berichten über 40% von implementierten beziehungsweise möglichen Preisanpassungen für US-Kunden. Jedes sechste Unternehmen prüft gar eine (Teil-)Verlagerung der Produktion in andere Länder. Für 13.5% der Befragten ist ein vorübergehender beziehungsweise teilweiser Lieferstopp in die USA eine mögliche Massnahme. Demgegenüber ist nur für jedes zwanzigste Unternehmen eine stärkere Präsenz im US-Markt oder eine (Teil-)Verlagerung der Produktion in die USA eine valable Option. Damit überwiegen eindeutig jene Massnahmen, die den eigentlichen Zielen der US-Zollpolitik diametral entgegenstehen.

Hoffnung auf Zolleinigung und Forcierung der diplomatischen Verhandlungen
Bei der Mehrheit der Unternehmen besteht die Hoffnung, dass bis Ende Jahr ein Abkommen mit den USA erzielt werden kann. 35% gehen davon aus, dass die Zusatzzölle gesenkt werden – erwarten aber immer noch einen Wert über 15%. Ein weiteres Drittel erwartet, dass die Schweiz mit den USA eine Einigung mit Zusatzzöllen in Höhe von 15% oder weniger erzielt. Dies wäre insofern bedeutend, als damit der aktuelle Wettbewerbsnachteil gegenüber der Konkurrenz aus der EU ausgeglichen würde.
Die Unternehmen drängen denn auch auf eine rasche Lösung auf diplomatischem Weg. 81% von ihnen zeigen sich überzeugt, dass die Schweiz ihren eingeschlagenen Verhandlungsweg konsequent fortführen beziehungsweise forcieren soll. Gegenzölle erachtet hingegen nur ein Sechstel der Unternehmen als probates Mittel.
Gleichzeitig offenbart sich die Bedeutung von weiteren Marktzugängen für Schweizer Unternehmen: 69% fordern die Stärkung bestehender beziehungsweise den Abschluss neuer Freihandelsabkommen. Insofern sind das Freihandelsabkommen mit Indien, das anfangs Oktober in Kraft tritt, sowie die kürzlichen Verhandlungsabschlüsse mit Thailand und Malaysia Lichtblicke. Chancen ergeben sich insbesondere durch ein mögliches Abkommen mit den Mercosur-Staaten sowie durch eine Aktualisierung der Abkommen mit China und Mexiko. Mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen drängt zudem auf eine Weiterentwicklung und Sicherung des bilateralen Wegs mit der EU. Nebst der Sicherstellung von Marktzugängen rücken innenpolitische Massnahmen in den Fokus: 29% der Befragten sprechen sich für eine Verlängerung der Höchstbezugsdauer von Kurzarbeit auf 24 Monate aus. Knapp zwei Drittel fordern angesichts der handelspolitischen Herausforderungen eine Stärkung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.
Thurgauer Exporte: Vor allem die MEM-Industrie ist stark betroffen
Die Höhe der Thurgauer Exporte in die USA betrugen 2024 rund 260 Mio. CHF, was 7 Prozent aller Thurgauer Exporte entspricht. Die USA sind nach der EU der wichtigste Exportmarkt, wobei Deutschland mit 43 Prozent der wichtigste Einzelmarkt ist. Mehr als die Hälfte der Thurgauer Ausfuhrgüter sind Fahrzeuge, Maschinen, Metalle und Metallerzeugnisse.
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